ECUADOR – Am Scheideweg von Wirtschaftsinteressen und dem Schutz des Regenwaldes

In Ecuador wurde der konservative Guillermo Lasso zum Präsidenten gewählt. Was bedeutet das für die indigene Bevölkerung des Landes? Das Wahlergebnis gibt Anlass für einen Rückblick auf Ecuadors Regierungen in den letzten zwei Jahrzehnten, von Jamil Mahuad bis Lenín Moreno.

Dieser Artikel stammt aus dem neuesten Rundbrief der Amnesty Themenkogruppe Menschenrechte und indigene Völker

ECUADOR
AM SCHEIDEWEG VON WIRTSCHAFTSINTERESSEN UND DEM SCHUTZ DES REGENWALDES

Der konservative Guillermo Lasso, der am 11. April nach einer Stichwahl gegen den linksgerichteten Favoriten Andrés Arauz gewann, tritt ein komplexes Erbe an.(1) Das Land steckt in einer wirtschaftlichen Krise, verstärkt durch sinkende Ölpreise und die Corona-Pandemie. Die hohe Staatsverschuldung und die Dollarisierung des Landes hemmen jedoch den Handlungsfreiraum. Um zu verstehen, wie sich das Wahlergebnis in die vergangenen Legislaturperioden einordnet, lohnt sich ein Blick auf die turbulenten letzten zwanzig Jahre ecuadorianischer Politik, die geprägt waren von einem Hin und Her zwischen Erfolg und Misserfolg für den Schutz des Amazonas und die Rechte indigener Völker.

Die Jahrhundertwende: Einsturz der Wirtschaft und Dollarisierung

Während der Amtszeit des christlich-demokratischen Jamil Mahuad von 1998 bis 2000, hat dieser in einem vergeblichen Versuch die Inflation zu mildern, den Sucre abgeschafft und den US-Dollar als offizielle Währung eingeführt – eine Entscheidung, die bis heute folgenschwer anhält. Weitere Sparmaßnahmen, die vor allem die sozial schwächere Bevölkerung unproportional trafen, führten zu massiven Protesten von Indígena-Organisationen und Militärs und letztlich zur Absetzung Mahuads. Nachdem drei Köpfe des Aufstandes, darunter Lucio Gutiérrez und der indigene Aktivist Antonio Vargas, für kurze Zeit die Kontrolle übernahmen, folgte auf Druck der USA und der politischen Rechten (2) eine Übergangsregierung des konservativen Gustavo Noboa, der den neoliberalen Kurs verstärkte. So wurde unter Noboa (Amtszeit 2000 bis 2003) der Bau der Ölpipeline Oleoducto de Crudos Pesados (OCP) genehmigt, die sich durch den Lebensraum indigener Bevölkerungsgruppen und ein extrem sensibles Ökosystem schlängelt, vom Amazonas bis zur Küste.(3) Obwohl es Noboa gelang, die Wirtschaft zu verbessern, traf die neoliberale Politik auf keine breite Zustimmung der Bevölkerung.

Die frühen 2000er: Neoliberalismus im Schafspelz

Dieses Klima und der Aufschwung der indigenen Bewegung ermöglichten es Lucio Gutiérrez 2002 an die Macht gewählt zu werden.(4) Er kündigte einen sozialeren Kurs an, brach jedoch sein Versprechen. Nachdem er die Korruption fortsetzte und sich den USA, dem IWF und der Weltbank annäherte, brachte er die Gewerkschaften und die Indígena-Organisationen gegen sich auf. Nach massiven Aufständen wurde er knapp zwei Jahre nach seiner Wahl des Amtes enthoben. Sein Nachfolger Alfredo Palacio (im Amt von 2003 bis 2005) setzte die Politik Gutiérrez‘ jedoch fort: natürliche Ressourcen, vor allem im Amazonasgebiet, wurden an multinationale Unternehmen verkauft und Verhandlungen um das bilaterale Freihandelsabkommen mit den USA (Andean Free Trade Pact) aufgenommen – politische Überlegungen, die auf massiven Protest stießen. Im März 2006 spitzte sich der Widerstand gegen das  Freihandelsabkommen und das bestehende Abkommen mit der US-amerikanischen Ölfirma Occidental (OXY) zu und brachte zahlreiche Demonstrierende auf die Straßen, unter ihnen zweihundert Indigeneder Bevölkerungsgruppen Zapara, Kichwa, Huaorani, Shuar und Achuar, die aus dem über 200km entfernten Puyo zu Fuß in die Hauptstadt anrückten.(5) Die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens wurde verhindert.

Große Hoffnungen für das Amazonasbecken

2007 weckte die Wahl von Rafael Correa neue Hoffnungen. Der linksorientierte Ökonom versprach das Ende des Neoliberalismus. Die Abwendung von der Austerität, die Einführung von SubventionierungsProgrammen und die steigenden Ölpreise brachten Ecuador eine bis dato nicht bekannte Stabilität.(6) Auch die extreme Armut wurde vermindert und die Rechte Indigener Völker gestärkt. Während er den Einfluss der USA, der Weltbank und des IWF zu verringern versuchte, verschlechterte sich mit Correas linksnationalistischen autoritären Zügen jedoch die Pressefreiheit.(7) Ein Meilenstein war die 2008 verabschiedete neue Verfassung, die Kollektivrechte, Naturrechte und den Begriff der Pacha Mama in der Staatsordnung verankerte.(8) Im Kampf gegen den Klimawandel und die Ausbeutung der Ressourcen schlug Correa außerdem die Yasuní-ITT-Initiative vor. Dabei handelte es sich um einen Appell Correas an die internationale Gemeinschaft, vor allem reiche Industrienationen, Ecuador in seinem Vorhaben den Amazonas zu schützen zu unterstützen: er kündigte bei der UN an, dass Ecuador den Großteil der Ölreserven im Boden des Yasuní-Nationalparks unangetastet lassen und auf die Öleinnahmen verzichten würde. Als Kompensation für die wirtschaftlich unverzichtbaren Einnahmen machte er den Vorschlag, dass Ecuador durch einen Fond, in den die Industrieländer einzahlten, entschädigt würde – ein bahnbrechender Vorschlag, der globale Ungerechtigkeiten zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern am Schopfe packt und an kollektive internationale Verantwortung in Sachen Klimawandel appelliert.
(9) Tragischerweise kam nicht annähernd genug Geld zusammen, trotz vehementer Versuche Ecuadors für das Vorhaben zu werben. Tröstlich ist lediglich, dass weite Teile des Yasuní-Nationalparks auch mit der Ölförderung bestehen bleiben können. Aber der Ausblick auf ein komplett intaktes Ökosystem schwindet seither dahin.(10) Auch wenn Correa sich in einer Zwickmühle und von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen sah; die Unterstützung, die er bis dahin vor allem unter der indigenen Bevölkerung genoss, ließ mit dem Beginn der Bohrungen in Yasuní stark nach. 2010 kam es zu massiven Aufständen und einem Putschversuch. 2013 wurde er jedoch wiedergewählt und blieb bis 2017 im Amt.

Rückschritte für den Regenwald und marginalisierte Bevölkerungsgruppen

Mit den Wahlen im selben Jahr kam Lenín Moreno an die Macht, der – obwohl ein politischer Zögling Correas – bald auf neoliberale Maßnahmen zurückgriff, um die weiterhin instabile Wirtschaft des Landes in den Griff zu bekommen. Um den Haushalt zu sanieren, nahm er milliardenschwere IWF-Kredite auf, die unter anderem an die Bedingung geknüpft waren, die Benzin-Subvention zu streichen. Dieses Kalkül provozierte im Herbst 2019 zuletzt massive Proteste und einen Generalstreik (para nacional). Mit der Wahl Guillermo Lassos im April 2021 zum Präsidenten, bleibt die Zukunft der Indigenen und des Regenwaldes ungewiss. Es ist zu befürchten, dass Lasso als rechter Hardliner die Errungenschaften Correas Regierung weiterhin demontieren wird. Er kündigte an, Steuern senken zu wollen, die Privatisierung voranzutreiben und das Land für ausländische Investoren weiter zu öffnen, was höchstwahrscheinlich auch die  Ausweitung der Ölförderung im Amazonasbecken beinhaltet.

Stella Terjung, Theko Menschenrechte und Indigene Völker

1 https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/ecuador-stichwahl-101.html
2 http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/614632.stm
3 https://www.gem.wiki/Crudos_Pesados_Oil_Pipeline#Location
4 https://www.bpb.de/internationales/amerika/lateinamerika/44739/geschichte
5 https://amazonwatch.org/news/2006/0323-ecuador-update-and-action-alert
6 https://www.bpb.de/internationales/amerika/lateinamerika/44739/geschichte?p=all
7 https://www.zeit.de/politik/ausland/2012-08/ecuador-correausa?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
8 Ecuadors Verfassung, Präambel, 2008: “Celebrando a la naturaleza, la Pacha Mama, de la que somos parte y
que es vital para nuestra existencia” und “Decidimos construir una nueva forma de convivencia ciudadana, en
diversidad y armonía con la naturaleza, para alcanzar el buen vivir, el sumak kawsay; Una sociedad que respeta,
en todas sus dimensiones, la dignidad de las personas y las colectividades”
9 https://www.theguardian.com/global-development/poverty-matters/2013/sep/19/world-failed-ecuador-yasuniinitiative
10 https://www.theguardian.com/global-development/poverty-matters/2013/sep/19/world-failed-ecuador-yasuniinitiative